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Flexibilisierung der Stellplatzsatzung für eine mobile Zukunft

Es ist ein Dauerthema beim Wohnungsbau in München

Wie viele Stellplätze müssen pro Wohneinheit nachgewiesen werden?

Was ist das richtige Konzept in Bezug auf die zukünftigen Mieter?

Was benötigen meine Mieter von morgen und wie mobil werden sie sein?

Wie kann Mobilität im Wohnungsbau von morgen gestaltet werden?

Auch das Familienunternehmen, ORT-Investment-Group, hat sich diese Fragen bei der Planung einer Wohnungsanlage mit 22 Wohneinheiten in München Forstenried gestellt. Das Mobilitätsverhalten der zukünftigen Mieter ist ein wesentlicher Baustein auf dem Weg hin zu effizientem Klimaschutz. Viele Menschen haben kein eigenes Auto oder schaffen es ab, wenn sie entsprechende Mobilitätsangebote vor Ort vorfinden und es sich für sie finanziell lohnt. Also plante man für die zukünftigen Bewohnerinnen und Bewohnern Mobilitätsmittel ein, die je nach Bedarf flexibel genutzt werden können.

Die Landeshauptstadt München fordert seit Januar 2008 eine örtliche Stellplatzsatzung. Diese regelt wie und wie viele Stellplätze im Rahmen eines Bauvorhabens nachzuweisen sind. Die bisherige Praxis in München sieht vor, dass pro Wohneinheit ein Stellplatz erstellt werden muss – demnach Faktor 1,0. Andernfalls muss eine Stellplatzablöse entrichtet werden. Abweichungen von dieser Regelung waren bisher nur in Ausnahmefällen möglich.

Plausible Mobilitätskonzepte gefordert

Andere deutsche Städte wie beispielsweise Frankfurt haben in den letzten Jahren auf den Nachweis von Stellplätzen verzichtet. Vielmehr fordern die Städte im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens ein plausibles Konzept hinsichtlich des Nachweises von Stellplätzen.

Grundsätzlich kann die Bauaufsichtsbehörde gemäß Artikel 63 der Bayerischen Bauordnung (BayBO) auf Antrag Abweichungen von örtlichen Bauvorschriften, hierzu zählt ebenfalls die Stellplatzsatzung der Landeshauptstadt München, zu- lassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.

Seit geraumer Zeit wurde auch von Münchner Wohnungsbauunternehmen immer wieder vorgetragen, dass der bislang angewendete Stellplatzschlüssel im geförderten und freifinanzierten Wohnungsbau den tatsächlichen Gegebenheiten nicht mehr gerecht wird.

Der Ausschuss für Stadtplanung und Bauordnung hat in seiner Sitzung vom 29. Juni 2016 wesentliche Erleichterungen für den bezahlbaren Wohnungsbau beschlossen, in dem eine Absenkung der Stellplätze demnach künftig generell möglich ist, wenn im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens ein „plausibles Mobilitätskonzept“ miteingereicht wird. „Plausibel“ heißt hier vor allem, dass die Bedingungen und Angebote für die zukünftigen Mieter so sind, dass tatsächlich weniger Privatautos vorhanden sind. Eine Ausweichung auf den öffentlichen Straßenraum ist dabei in jedem Fall zu vermeiden. Das Konzept soll zur Förderung des bewussten Verzichts auf den Besitz eines Kfz dienen.

Es ist sinnvoll – um einer Verlagerung des Parkdrucks in den öffentlichen Raum zu begegnen – ergänzend Kriterien aufzustellen, auf deren Basis entsprechende Abweichungen von der Stellplatzsatzung im Baugenehmigungsverfahren gewährt werden können:

  • Das Baugrundstück ist/wird durch den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) gut erschlossen und bietet damit die Voraussetzung, auch dauerhaft in unterschiedlichen persönlichen Lebenslagen und Haushaltskonstellationen den Alltag gut und ohne eigenes Kfz bewältigen zu können.
  • Das Vorhaben schließt alle Wohneinheiten eines Gebäudes mit ein und umfasst eine Mindestgröße von zehn Wohneinheiten.
  • Alle herzustellenden Stellplätze verbleiben im Gemeinschaftseigentum. Eine Aufteilung in Teileigentum oder die Begründung von Sondernutzungsrechten findet nicht statt. Damit soll erreicht werden, dass auch für den Fall der Bildung von Wohnungseigentum die Eigentümergemeinschaft insgesamt über die Vergabe der Stellplätze entscheiden kann.
  • Im Baugenehmigungsverfahren ist von der Antragstellerin/vom Antragssteller ein plausibles Mobilitätskonzept vorzulegen. Um die Funktionsfähigkeit des Mobilitätskonzeptes dauerhaft sicherzustellen, ist die Verpflichtung zur Umsetzung und dauerhaften Bereithaltung der entsprechenden Angebote auf Privatgrund im Zuge der Baugenehmigung für die jeweiligen Antragssteller/in jeweils verbindlich festzulegen.

Als Bestandteil eines Mobilitätskonzeptes kommen dabei insbesondere in Betracht:

  • Die Errichtung und dauerhafte Bereitstellung von Stellplätzen, die ausschließlich für Carsharing genutzt werden
  • Die Konkrete Förderung der Fahrradnutzung, zum Beispiel durch Herstellung zusätzlicher Abstellplätze für Fahrräder im Eingangsbereich der Wohnanlagen sowie die Bereitstellung von Lastenfahrrädern, Fahrradanhängern oder E-Bikes/Pedelecs oder Förderung eines Fahrradverleih-Systems, zum Beispiel in Kooperation mit Mietradanbietern.
  • Informations- und Kommunikationsangebote, zum Beispiel die Errichtung eines Informationssystems zur Anbindung an den ÖPNV oder die Entwicklung eines Mobilitätsmanagements für das Quartier.
  • Verpflichtung zu Konzepten wie „Autoreduziertes oder autofreies Wohnen“ (= Verpflichtung zum Verzicht auf den Besitz beziehungsweise die Nutzung eines eigenen Kfz) mit Entwicklung eines Controllings (mit der Möglichkeit, die Autofreiheit der Bewohnerinnen und Bewohner eines Wohnprojektes gegenüber der Baugenehmigungsbehörde (Berichts pflicht) periodisch zu dokumentieren und darzustellen, wie der Kfz-Verzicht in der Bewohnerschaft abgesichert werden soll.)

Dabei ist zu beachten, dass das Mobilitätskonzept als eine integrierte Maßnahme zu verstehen und zu beurteilen ist und nicht als Reihe voneinander unabhängiger Einzelmaßnahmen. So können Maßnahmen, die etwa alleine keinen Effekt auf den Kfz-Besitz haben, in sinnvoller Kombination mit weiteren Maßnahmen zur Sicherung einer nachhaltigen Mobilität beitragen.

Wie sollte demnach ein plausibles Mobilitätskonzept aufgebaut und gestaltet werden?

 

Eingangs sollte das direkte Umfeld analysiert werden. Eine gute ÖPNV-Erschließung ist dann gegeben, wenn sich innerhalb von 600 Metern eine S-Bahn/U-Bahn Station sowie Tram oder Metrobusse sich innerhalb in einer radialen Entfernung von 400 Metern befinden. Überdies sollten sich Einkaufsmöglichkeiten zur Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs innerhalb eines Radius von 600 Metern zum Objekt befinden.

Folgende Bausteine sollte das Mobilitätskonzept enthalten, damit ein Mobilitätsfaktor von 0,8 erreicht werden kann:

  • Mehr Abstellfläche für Fahrräder (generell ein Fahrradstellplatz pro 40 Quadratmeter Gesamtwohnfläche) als in der Fahrradabstellplatzsatzung geregelt (mindestens ein Fahrradstellplatz pro 30 Quadratmeter Gesamtwohnfläche) müssen nachgewiesen werden. Hierbei muss ferner festgehalten werden, dass mindestens 80 Prozent überdacht sein müssen.
  • 20 Prozent der Fläche der wegfallenden Stellplätze müssen für alternative Mobilitätsangebote zur Verfügung stehen. Bei einem Mobilitätsfaktor von 0,8 reicht bereits ein fahrradbasiertes Sharing-Angebot. Dieses kann als Angebot von entleihbaren Lastenfahrrädern, -pedelecs und/ oder Fahrradanhänger gestaltet werden.

Bei einer angestrebten weitergehenden Reduzierung des Schlüssels sind eine oder mehrere der folgenden Bausteine anzubieten:

  • Car-Sharing-Angebote (mindestens 10 Prozent des Flächengewinns)
  • Zusätzliche Abstellflächen für private Fahrräder
  • Angebot von Gemeinschafts-E-Bikes (Pedelecs)
  • Beteiligung an einem Mietradsystems (zum Beispiel. MVG-Rad-Station)
  • Reparaturraum für Fahrräder mit Werkzeug (Fahrradwerkstatt)
  • Gemeinschaftslösungen für Lieferungen (Ablagestation für Paketzusteller, spezielle Lieferungen wie Lebensmittelboxen etc.)
  • Übertragbare MVV-Isarcard für die Hausgemeinschaft
  • barrierefreies (für alle zugängliches) Mobilitätsmanagement zur Information und Buchung

Mobilitätskonzept muss abgesichert werden

Allerdings besteht die Stadt auf eine Bedingung: Das Mobilitätskonzept muss in geeigneter Form abgesichert werden. Sollte das Konzept nicht funktionieren und sich nach einigen Jahren herausstellen, dass die Bewohner doch mehr Autos besitzen als erwartet, muss der Bauträger entweder die Zahlung einer Ablösesumme per Bankbürgschaft garantieren oder eine Möglichkeit zum Nachrüsten der Stellplätze vorhalten.

Es lässt sich zusammenfassen, dass beim aktuellen hohen Zuzug in München die Stellplatzsatzung irgendwann nicht mehr funktionieren wird.

Das Mobilitätsverhalten der Bewohner ist ein wesentlicher Baustein auf dem Weg hin zu effizientem Klimaschutz. Alle Maßnahmen für eine Stadt der kurzen Wege und einen guten Umweltverbund sind letztlich auch eine gute Investition in die Lebensqualität.
Die frühzeitige Einbeziehung der verschiedenen Akteure in der Entwicklung des Mobilitätskonzept ist ein wesentlicher Faktor. Mehrere Parteien können durch die Flexibilisierung der Stellplatzsatzung profitieren:

  • Die Stadt und die Anwohner von geringerem Verkehrsaufkommen
  • Flexible Nutzung der Mobilitätsmittel durch die Nutzer
  • Die Bauherren von geringeren Baukosten
  • Die Mobilitätsdienstleister (ÖPNV, Sharing-Angebote etc.) durch eine erhöhte Nachfrage

Autor: Joel Reif
Quelle: “Supplement Green City 2018, MuP-Verlag GmbH”
Titelfoto: Ida Friederson/Fotolia.com

Dieser Artikel bezieht sich auf folgenden Online Fachvortrag: